Europas grüne Politik nimmt mit dem „Fit-for-55“-Paket Konturen an

Die Europäische Kommission hat am 14. Juli 2021 mit dem sogenannten Fit-for-55 Regulierungspaket eine erste Konkretisierung ihrer Klimapolitik vorgelegt. In insgesamt 14 Bereichen werden Regelungen an das im EU-Klimagesetz verschärfte Ambitionsniveau für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen angepasst. Ziel ist es, bis 2030 55 % weniger CO₂ zu emittieren als im Jahr 1990 und bis zum Jahr 2050 die Emissionen auf netto Null zurückzufahren.

Für die Stahl und Metall verarbeitenden Industrien in Deutschland sind die nachfolgend skizzierten Kommissionsvorschläge besonders relevant. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bisher um Entwürfe handelt, die in einem weiteren politischen Verfahren von Parlament und oder Rat der EU geändert werden können.

CO₂-Bepreisung – Verschärfung und Ausweitung des EU-ETS sowie Einführung CBAM

Das zentrale Element zur Reduzierung der CO₂-Emissionen in Europa ist seit 2005 das Europäische Emissionshandelssystem (EU-ETS), in dem die Energieindustrie, die Industrie, die Anlagen größer 20 Megawatt Feuerungswärmeleistung betreibt sowie die Luftfahrt Emissionsrechte in Form von Zertifikaten erwerben müssen. Die Kommission schlägt vor, dieses Instrument zu verschärfen, um die erhöhten Ambitionen zu erreichen. Einerseits sollen die Verfügbaren Zertifikate ab 2025 jährlich um 4,2 % reduziert werden statt bisher um 2,2 %. Zudem soll die kostenfreie Zuteilung von Zertifikaten an die Industrie perspektivisch auslaufen. Durch diese Maßnahmen sollen die Emissionen in diesem Bereich bis 2030 um 61 % gegenüber 2005 gesenkt werden, statt bisher um 43 %.

Die Preise der Emissionszertifikate werden aufgrund dieser Anpassungen steigen. Das hat die Entwicklung im letzten Jahr bereits gezeigt, als sich der Preis für die Emission einer Tonne CO₂ auf mehr als 50 Euro verdoppelt hat. Um die europäische Industrie angesichts steigender CO₂-Kosten gegen ausländische Wettbewerber zu schützen, schlägt die EU-Kommission die Einführung eines Grenzausgleichsmechanismus vor. Durch diesen sollen Importe in den gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum mit einem CO₂-Aufschlag versehen werden, der dem Niveau der Kosten des Europäischen CO₂-Emissionshandels entspricht. Auf diese Weise soll ein Level-Playing-Field für die EU-ETS-Industrien hergestellt werden. Der Grenzausgleichsmechanismus soll schrittweise parallel zum Auslaufen der kostenfreien Zuteilung von Emissionszertifikaten erfolgen.

Der Mechanismus hat zwei grundsätzliche Schwächen. Einerseits werden die Exporte aus der EU nicht von den erhöhten CO₂-Kosten entlastet. Darüber hinaus werden die Carbon-Leakage Risiken entlang der Lieferkette verlagert. Denn das vorgeschlagene System umfasst zumindest in der Startphase nur die Grundstoffindustrie und erste nachgelagerte Wertschöpfungsebenen. Auf die nicht erfassten Industrien kommen erhöhte Einkaufspreise im Binnenmarkt sowie steigender Importdruck aus dem Ausland zu. Denn die Wettbewerber können im Ausland weiterhin ohne CO₂-Kosten produzieren und ihre Produkte ohne Grenzausgleich nach Europa liefern. Der WSM hat zu diesem Thema eine wissenschaftliche Untersuchung beauftragt, um mit Nachdruck auf diese Risiken hinzuweisen. Wenn an einem Grenzausgleich festgehalten werden sollte, dann muss das System die gesamte Wertschöpfungskette bis zum Endprodukt erfassen.

Ab 2026 soll das EU-ETS auf den Straßenverkehr und Gebäude ausgeweitet werden. Der Vorschlag umfasst ausdrücklich nicht die industriellen Anlagen, die bisher aufgrund ihrer geringen Emissionen nicht emissionshandelspflichtig sind. Deutschland hat bekanntlich zum 1. Januar 2021 einen nationalen CO₂-Emissionshandel eingeführt, allerdings für Verkehr und Wärme und damit eben auch genau für diejenigen Betriebe und Anlagen, die der europäische Vorschlag mit dem Argument ausnimmt, in diesem Bereich der Industrie stehe der Aufwand des Systems in keinem vernünftigen Verhältnis zu der erwarteten CO₂-Minderung. Jetzt muss die Bundesregierung darauf hoffen, dass man im Rat eine Änderung dieses Vorschlags herbeiführen kann und die europäische mittelständische Industrie einheitlich mit CO₂-Kosten belastet wird. Anderenfalls müsste entweder die nationale CO₂-Steuer im Bereich der Industrie zurückgenommen oder ein tatsächlich wirksamer Schutz der deutschen Industrie vor den europäischen und internationalen Wettbewerbern, die ohne vergleichbare CO₂-Kosten produzieren, etabliert werden.

Energiebesteuerung – Anpassung der Energiesteuer-Richtlinie

Die EU legt in der Energiesteuer-Richtlinie Rahmenbedingungen fest, entlang derer die Mitgliedsstaaten die als Kraft- oder Heizstoff eingesetzten Energieträger und elektrischen Strom besteuern müssen. Bisher bildet die verbrauchte Energiemenge die Basis für die Bemessungsgrundlage, und ein energieträgerspezifischer Mindeststeuersatz bestimmt die Höhe der Steuern. Oberhalb der Mindeststeuersätze sind die Mitgliedsstaaten frei, höhere Sätze anzuwenden. Weiterhin enthält die noch gültige Richtlinie Maßgaben für die Entlastung bestimmter Verbrauchsgruppen (wie etwa energieintensive Industrien) von Steuersätzen, die über den EU-einheitlichen Mindestsätzen liegen.

Der Vorschlag für eine Änderung der Richtlinie sieht einen Wechsel der Bemessungsgrundlage von der Energiemenge zum Energiegehalt und den Auswirkungen der Energieträger auf Umwelt und Gesundheit vor. Anhand dieser Kriterien erstellt die Kommission eine Rangfolge der Energieträger und legt Mindeststeuersätze fest. Zwar können die Mitgliedsstaaten auch weiterhin höhere Steuersätze anwenden, jedoch darf die Rangfolge der Energieträger dadurch nicht verändert werden. Das würde dazu führen, dass ab dem Jahr 2023 als Kraftstoff verwendeter Diesel höher besteuert werden müsste als Benzin. So will die EU-Kommission sicherstellen, dass die umweltschädlichsten Kraft- und Brennstoffe am höchsten besteuert werden. Die Mitgliedstaaten müssen dafür sorgen, dass diese Klassifizierung auf nationaler Ebene umgesetzt wird.

Wegfallen soll der ermäßigte Steuersatz für die betriebliche Verwendung. In Deutschland wären die §§9b StromStG und 54 EnergieStG obsolet, das bedeutet den Wegfall eines Entlastungsvolumens von mehr als einer Milliarde Euro jährlich. Darüber hinaus führt der Vorschlag einen Inflationsausgleich ein, indem die nun vorgeschlagenen Mindeststeuersätze auf der Grundlage von Eurostat-Zahlen zu den Verbraucherpreisen jährlich automatisch angepasst werden. Das ist der Planungssicherheit der Betriebe nicht zuträglich.

Aus Sicht der Stahl und Metall verarbeitenden Industrien bleibt positiv zu vermerken, dass die generelle Steuerausnahme für bestimmte Verfahren wie metallurgische Prozesse nicht angetastet wird. Die §§ 9a StromStG sowie 51 EnergieStG könnten in Deutschland weiterhin angewendet werden. Auch der deutsche Spitzenausgleich der §§ 10 StromStG und 55 EnergieStG könnten auf Basis des Vorschlages zur Änderung der Energiesteuer-RL erhalten bleiben. Dennoch würde die neue Systematik zu erheblichen Änderungen der Energiebesteuerung auch in Deutschland führen. Für den WSM wird es darauf ankommen, dass die neue Bundesregierung industriepolitische Interessen vor die Fiskalpolitik stellt, denn Energiesteuern sind eine wichtige Einnahmequelle des Staates.

Weitere Maßnahmen: Energieeffizienz, Erneuerbare Energien, Emissionsregulierung Verkehr

Es liegt auf der Hand, dass zur Erreichung der Klimaziele der Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigt werden muss. Auch die Effizienz bei der Erzeugung und bei der Verwendung von Energie muss weiter und schneller optimiert werden. Für diese Regelungsbereiche schlägt die Kommission daher Anpassungen vor, die jedoch zunächst keine größeren unmittelbaren Auswirkungen auf diejenigen Industrien haben dürften, deren Interessen der WSM vertritt. Mittelbare Auswirkungen sind dagegen durch die Vorschläge für eine weitere Verschärfung der Flottengrenzwerte im Straßenverkehr zu erwarten. Ein Wert von 0 Gramm / Kilometer im Jahr 2035 ist laut VDA nur durch vollständig batterieelektrische Fahrzeuge realisierbar. Damit greift die EU ohne Berücksichtigung der für die Märkte und die Innovationen so wichtigen Technologieneutralität ein. Zahlreiche Zulieferer auch aus den WSM-Industrien werden so mit einem massiv beschleunigten Strukturwandel konfrontiert, mit dem sie nicht alleine gelassen werden dürfen. Der WSM wird die Politik national und europäisch an diese Verpflichtung erinnern.


Dipl.-Kaufmann Holger Ade
Leiter Industrie- und Energiepolitik

WSM Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung e.V.
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