Stahlabnehmer setzen auf grünen Stahl
Für Kaldewei ist die Zusammenarbeit mit Thyssenkrupp „ein Schritt in Richtung CO2-freien Stahl“, wie Unternehmenssprecher Marcus Möllers erläutert. Der Premiumhersteller von Badprodukten hat Anfang Oktober die ersten Mengen der neuen Stahlmarke bluemint bezogen, die Thyssenkrupp am Standort Duisburg herstellt. Laut Möllers waren es 300 Tonnen. Größere Mengen stünden derzeit noch nicht zur Verfügung.
Kaldewei setzt auf umweltbewusste Verbraucher
Der Vertrieb stoße bei der Vermarktung der Produkte, in denen der bluemint-Stahl verbaut wird, durchaus auf Interesse. Dabei handelt es sich laut Möllers um Architekturbüros und Bauplaner und noch nicht um „private Häuslebauer“. Kaldewei sei aber zuversichtlich, dass auch die Nachfrage aus dem privaten Bereich anziehen wird: „Es gibt immer mehr Verbraucher, die bereit sind, für nachhaltig hergestellte Produkte einen Aufpreis zu bezahlen.“ Firmenchef Franz Kaldewei hat dafür das Kunstwort „Luxstainability“ geprägt: „Luxus in Form von edler Materialität und sinnlichem Design“, verbunden mit nachhaltigem Denken und Handeln, wie sich Kaldewei in einer Pressemitteilung zitieren ließ.
Auch die Haushaltsgerätehersteller BSH und Miele setzen auf grünen Stahl. Beide Unternehmen arbeiten dazu mit der Salzgitter AG zusammen. Der Stahl kommt aus dem Elektrostahlwerk in Peine, bei der Produktion fallen laut Salzgitter zwei Drittel weniger CO2-Emissionen an als bei der konventionellen Herstellung auf der Hochofenroute. „Grüner Flachstahl stößt auf immer größeres Interesse bei unseren Kunden aus verschiedensten Branchen", sagte Phillip Meiser, Vertriebschef bei Salzgitter Flachstahl.
BSH verwendet den Stahl nach eigenen Angaben zunächst als Gehäusehalterung für die Waschmaschinenproduktion im polnischen Werk Lodz. Bei Miele wird der Grünstahl in einem Abdeckblech für Herde und Backöfen verbaut, die im westfälischen Oelde vom Band gehen. Pro Monat werden knapp 24 Tonnen des Salzgitter-Stahls in das Werk geliefert. „Weitere Anwendungen auch in anderen Miele-Geräten werden aktuell geprüft“, betont Miele.
Marketing-Instrument für die Kunden
Von „grundsätzlich einsatzbereiten Projekten“ und einer kontinuierlich steigenden Nachfrage der Kunden nach nachhaltigen Stahlprodukten sprach Holger Braun, Leiter der CO2-Strategie im Werk von Arcelormittal in Eisenhüttenstadt, auf der Blechexpo in Stuttgart. Zusätzlicher Anreiz für die Kunden: Arcelormittal stellt Zertifikate aus, mit denen die Abnehmer die erzielten CO2-Einsparungen nachweisen können. Die Einsparungen lässt sich Arcelormittal von dem Zertifizierer DNV bestätigen. „Für Hersteller von Haushaltsgeräten etwa ist das ein gutes Marketing“, hatte Braun auf dem MBI Stahltag 2021 in Frankfurt am Main gesagt. Erste Kunden in Polen und Tschechien hätten davon schon Gebrauch gemacht.
Auch Schaeffler will künftig CO2-ärmeren Stahl verwenden. „Wenn wir das Pariser Klimaabkommen umsetzen wollen, führt an grünem Stahl kein Weg vorbei“, sagte Vorstandschef Klaus Rosenfeld erst kürzlich in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Der Industriekonzern will dafür die Partnerschaft mit seinen Lieferanten „weiterentwickeln und vorantreiben“. Eine Unternehmenssprecherin wollte auf Anfrage nicht konkreter werden, ließ jedoch durchblicken, dass Schaeffler schon bald mit einem entsprechenden Projekt an die Öffentlichkeit gehen wird.
Konventionell erzeugter Stahl wird teurer
Häufig wird argumentiert, dass die Produktion von grünem Stahl erheblich teurer sei als die konventionelle Hochofenroute und dass die Mehrkosten nur schwer an die Abnehmer beziehungsweise Endverbraucher weitergegeben werden könnten. Die Unternehmensberatung Roland Berger hat sich einmal genauer angeschaut, wie sich die verschiedenen Produktionstechnologien auf der Kostenseite auswirken. Laut der aktuellen Studie „Green deal for steel“ liegen in dem wahrscheinlichsten Szenario die Mehrkosten einer Tonne Stahl, die CO2-reduziert erzeugt wird, im Jahr 2030 zwischen 124 und 138 Euro, verglichen mit dem Basisjahr 2020. „Allerdings erwarten wir, dass diese Kosten um 66 bis 80 Euro pro Tonne unterhalb der Kosten konventionell hergestellten Stahls liegen werden. Denn dieser wird bis 2030 durch die zu erwartende CO2-Preissteigerung stark belastet“, erläuterte Studienautor Akio Ito.
Dabei seien Inflationsentwicklung und Wechselkursveränderungen noch nicht berücksichtigt. So oder so kommen auf Verarbeiter und Konsumenten höhere Kosten zu. Diese fallen laut der Studie von Roland Berger aber nicht übermäßig hoch aus: Um die durch klimaneutral produzierten Stahl entstehenden Mehrkosten in der Herstellung eines Mittelkasse-Pkw zu decken, würde demnach schon eine Preiserhöhung um 0,5 Prozent ausreichen. Unterstellt wird ein Preis von 30.000 Euro und ein Stahlanteil im Fahrzeug von rund 800 Kilogramm.
Wie bei der Weißen Ware gehen auch in der Automobilindustrie die Premiumhersteller voran. So hat Mercedes-Benz sich von seinen Lieferanten eine Absichtserklärung unterschreiben lassen, wonach diese den Autobauer künftig nur noch mit CO2-neutralen Produkten beliefern sollen. Laut Mercedes-Benz befinden sich darunter auch „wichtige Stahllieferanten“. Bei Stahl kann das Unternehmen einen großen Hebel ansetzen – eine Limousine von Mercedes-Benz besteht zur Hälfte aus diesem Werkstoff. Damit macht Stahl etwa 30 Prozent der CO2-Emissionen in der Herstellung aus. Die Stuttgarter haben sich zudem an dem Start-up-Unternehmen H2 Green Steel beteiligt, das eine fossilfreie Stahlproduktion in Schweden aufbauen will.
Auf die Großeinkäufer kommt es an
„Die entscheidende Frage wird sein, ob die Stahlabnehmer bereit sein werden, die Mehrkosten grünen Stahls zu bezahlen“, betont Heinz-Jürgen Büchner, Direktor und Head of Industrials & Automotive bei IKB Deutsche Industriebank. Dies gelte vor allem für die großen Stahleinkäufer in Automobilindustrie, Bauwirtschaft oder Windenergie. Dagegen könnten mittelständische Verarbeiter nicht groß ausweichen. Büchner weiß von einem großen Automobilzulieferer, der rostfreien Stahl in China kaufe, weil dieser dort deutlich günstiger sei. „In China gibt es weniger Umweltauflagen, und die Energiekosten sind tendenziell niedriger. Vor allem aber setzen die chinesischen Produzenten Nickel Pig Iron ein – das wäre in Europa aus Umweltschutzgründen gar nicht möglich.“
Um „schmutzigen“ Stahl aus China, Russland oder der Ukraine nicht nach Europa zu lassen, müsse man Markteintrittsbarrieren schaffen. Den von der EU zu diesem Zweck geplanten Grenzausgleichsmechanismus sieht der IKB-Experte jedoch skeptisch: „Das muss WTO-konform sein. Was nützt dieses Instrument, wenn China vor der WTO dagegen klagen kann, weil chinesischen Stahlherstellern Umsätze in Milliardenhöhe entgehen? China könnte als Gegenmaßnahme auch Einfuhrzöllen auf Maschinen, Autos oder Elektroprodukte erheben. Das wäre kontraproduktiv für die deutsche Industrie.“
Dr. Mark Krieger
Redakteur
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