Stahlmarkt China - Viel besser als sein Ruf

Das hierzulande oft gezeichnete China-Bild mit veralteten Stahlhütten und minderwertigen Stahlqualitäten entspricht nicht der Realität. Dekarbonisierung steht auch im Reich der Mitte auf dem Plan. Allerdings erlauben die häufigen Markteingriffe durch die Regierung keine zuverlässigen Prognosen.

Gut eine Milliarde Tonnen Stahl wurde in China im Jahr 2022 hergestellt – das sind 55 % der weltweiten Erzeugung. Entsprechend groß ist der Einfluss des Landes auf die Weltmarktpreise von Rohstoffen und Stahl. Das Stahl-Exportvolumen von mehr als 67 Millionen Tonnen liegt zwar deutlich unter dem 2015 erreichten Spitzenwert von 112 Millionen Tonnen, macht das Land aber nach wie vor zum bedeutsamsten Player am Exportmarkt, mit entsprechendem Einfluss auf das internationale Preisgefüge. Die größten Mengen fließen dabei in asiatische Nachbarländer. In die EU wurden im vergangenen Jahr rund 2,7 Millionen Tonnen geliefert und damit weniger als 10 % der Gesamtimporte.

Das hierzulande oft gezeichnete China-Bild mit veralteten Stahlhütten und minderwertigen Stahlqualitäten ist nicht realistisch. Viele chinesische Stahlhersteller produzieren auf dem neuesten Stand der Technik Qualitäten, die auch europäische Kunden mit hohen Anforderungen zufriedenstellen. Daneben gibt es aber auch unzählige, vor allem kleinere Hersteller, auf die die europäische Sicht tatsächlich zutreffen mag.

Die Dekarbonisierung der Stahlindustrie steht auch in China auf dem Plan. Das Ziel lautet, bis 2060 CO2-Neutralität zu erreichen. Als stärkster kurzfristiger Hebel soll die Erhöhung des Schrotteinsatzes dienen, wozu Sammel- und Sortiersysteme kräftig ausgebaut werden. Bis in die 2030er Jahre soll der Erzeugungsanteil der Elektrostahl-Route um den Faktor fünf von derzeit 10 % auf ungefähr 50 % erhöht werden, während die bisher dominierenden Hochofenroute an Gewicht verlieren wird.

Eine flächendeckende schnelle Umstellung auf die wasserstoffbasierte Direktreduktion, wie sie die EU verfolgt, wird zwar unter anderem aus Kostengründen und mit Blick auf die begrenzte Verfügbarkeit der nötigen Rohstoffe kritisch gesehen. Trotzdem gibt es interessante, auch privat finanzierte Projekte, die zeigen, dass mit chinesischen Herstellern auch auf diesem Feld zu rechnen ist. Bereits Ende 2022 hat der zweitgrößte Stahlhersteller des Landes, die HBIS-Gruppe, zusammen mit dem Anlagenbauer Tenova den Bau einer Pilot-Direktreduktionsanlage mit einer Jahreskapazität von 1,2 Millionen Tonnen abgeschlossen. Diese wird mit Gas betrieben, das mit Wasserstoff angereichert wird.

Der weltweit größte Stahlhersteller Baosteel will seine CO2-Emissionen bis 2030 gegenüber 2020 um 30 % reduzieren und bis 2050 CO2-neutral werden. Eine für Gas- und Wasserstoffeinsatz geeignete Direktreduktionsanlage mit einer Jahreskapazität von einer Million Tonnen soll spätestens bis 2024 in Betrieb gehen. Ende 2022 hat das Unternehmen CO2-reduzierte Bauteile für die Automobilindustrie ins Angebot aufgenommen.

Das zyklische Auf und Ab des Stahlmarktes wird in China durch zwei Besonderheiten verstärkt. Zum einen greift die Regierung immer wieder in schwer vorhersehbarer Weise in den Markt ein. Beispiele dafür sind Verfügungen zum Kapazitätsabbau, zum Außenhandel oder zur kurzfristigen Produktionsdrosselung. Auch fiskalpolitische Maßnahmen zur gezielten Erhöhung der Nachfrage sind Normalität. Die Wirkung dieser Eingriffe wird dadurch verstärkt, dass Stahl- und Rohstoffpreise weit stärker als in Europa dem Einfluss des Finanzmarktes ausgesetzt sind. Spekulative Übertreibungen führen immer wieder zu starken Preisausschlägen. Daher sind Prognosen zum Stahlmarkt in China noch schwieriger, als für andere Regionen der Welt.

Wie sieht nun die aktuelle Lage aus? Die chinesischen Stahlpreise sind über weite Strecken des Jahres 2022 gefallen und hatten im Oktober den niedrigsten Stand seit Mitte 2020 erreicht. Strukturell lastet die Krise des Bau- und Immobiliensektors, auf den der mit Abstand größte Teil der Nachfrage entfällt, auf dem Markt. Im vierten Quartal aber setzte bei den Stahl- und Rohstoffpreisen eine Wende ein. Ende Januar lagen die Preise am Spotmarkt um umgerechnet 100 bis 120 US-Dollar/Tonne über dem Tiefstand vom Oktober 2020. Der Markt profitierte vom Stimmungsumschwung, nachdem die Regierung die Abkehr von der radikalen Corona-Eindämmungspolitik verkündet hatte.

Unterstützt wurde der Preisanstieg daneben von mehreren neuen Konjunkturpaketen der Regierung, mit denen insbesondere der angeschlagene Immobiliensektor unterstützt werden soll. Auch Bestandsauffüllungen im Vorfeld des 2023 schon ungewöhnlich früh stattfindenden chinesischen Neujahrsfestes haben den Markt am Jahresanfang gefestigt. Bisher scheint der Aufschwung deutlich mehr von Erwartungen als von Fakten getragen. Die kommenden Monate werden zeigen, ob sich daran etwas ändert. Auch ob sich die verbreitete Hoffnung auf eine stärkere wirtschaftliche Dynamik tatsächlich erfüllt, muss abgewartet werden.