Strom- und Erdgaspreise bedrohen Existenzen

Die Preisexplosion an den Energiebörsen in der zweiten Jahreshälfte 2021 kam für die meisten Marktteilnehmer völlig überraschend. Unternehmen, die zum Ende des Jahres Energie für 2022 einkaufen mussten, stehen vor existenziellen Herausforderungen. Die Politik muss schnell für eine Dämpfung des Kostenanstiegs sorgen.

Erdgaspreis- und Strompreisveränderung 2021 - 2022

Energie ist für die Verarbeitung von Stahl und Metall ein unverzichtbarer Produktionsfaktor. Im Jahr 2019 wurden 11,6 Terawattstunden (TWh) elektrischer Strom und rund 11 TWh Erdgas in den Betrieben der WSM-Branchen eingesetzt.

Betriebswirtschaftlich ist der Anteil, den Energie an den Produktionskosten ausmacht, weitaus bedeutender als die reine Energiemenge. Meistens ist Energie in den WSM-Branchen nach Stahl oder Metall sowie Personal der drittgrößte Kostenfaktor, in einigen Prozessen steht sie auf Position zwei (siehe das Interview mit Dirk Hölscheid, IHT). Die Energiekosten variieren zwischen unter 1 Prozent bis zu deutlich über 10 Prozent, bezogen auf den Umsatz der Betriebe. Da die durchschnittliche Umsatzrendite der Branche laut Kostenstrukturerhebung des Statistischen Bundesamtes bei 1,5 Prozent liegt, führt eine Verdoppelung der Energiepreise selbst die wenig energieintensiven Unternehmen in die Verlustzone, jedenfalls wenn Energieeffizienzmaßnahmen nicht greifen. Die energieintensiveren Prozesse lassen sich auch durch eine massive Erhöhung der Effizienz des Energieeinsatzes nicht mehr wirtschaftlich betreiben.

Aber wie haben sich die Energiepreise tatsächlich für die Betriebe entwickelt? Die nachfolgenden Beiträge „Energiekosten I“ und „Energiekosten II“ zeigen die Abhängigkeit der Antwort dieser Frage vom Beschaffungszeitpunkt auf – Unternehmen, die vorausschauend frühzeitig Energie eingekauft haben, sind von den Preiseskapaden zunächst wenig oder gar nicht betroffen. Im Gegensatz dazu nehmen Betriebe, die sehr börsennah einkaufen, um das Risiko eines ungünstigen Einkaufszeitpunktes zu reduzieren, sämtliche Preisspitzen mit.
Der Erdgaspreis für das Bezugsjahr 2021 lag im Jahr 2020 bei durchschnittlich 13,87 Euro je Megawattstunde (€/MWh) und nahm ab Ende 2020 einen dramatischen Verlauf. Ende 2021 übersprang der Preis für den Erdgasbezug im Jahr 2022 die Marke von 100 €/MWh und erreichte ein Niveau von fast 140 €/MWh. Hinzu kommt der Anstieg der nationalen CO₂-Abgabe von 25 auf 30 Euro je Tonne CO₂. Vor eine Entlastung von diesen CO₂-Kosten hat der Gesetzgeber hohe Hürden gestellt. Allenfalls für einige wenige Betriebe dürfte eine Kompensationszahlung in Höhe von rund 50 Prozent der Zusatzkosten möglich werden.

Für die anschließende Modellrechnung wurde ein Börsenpreis von 55 €/MWh angesetzt, je nach Abschlusszeitpunkt kann dieser Wert deutlich höher liegen. (Abb. 1)

Der Börsen-Strompreis (Baseload) für den Bezug im Jahr 2021 lag im Verlauf des Jahres 2020 stabil bei rund 40 €/Mwh, bevor im Herbst ein Anstieg auf etwa 48 €/MWh zu beobachten war. Dieser Trend hat sich im weiteren Verlauf des Jahres 2021 (für den Bezug von Strom im Jahr 2022) massiv beschleunigt. Am Jahresende 2021 lag der Börsenpreis für Base 2022 bei knapp 330 €/MWh. Allerdings ist der Börsenstrompreis lediglich ein Teil des Preises, den Unternehmen ihren Energieversorgern bezahlen. Andere Preisbestandteile könnten dem Anstieg des sogenannten Arbeitspreises entgegenwirken.

So tragen die staatlich veranlassten Preisbestandteile zu einer leichten Dämpfung des Kostenanstiegs bei, insbesondere die um 2,777 Cent/KWh niedrigere EEG-Umlage. Der gleichzeitige Anstieg der anderen Umlagen begrenzt den Rückgang der staatlichen Strompreisbestandteile auf 2,63 Cent/KWh. Unternehmen, die aufgrund ihrer Stromkostenintensität reduzierte Umlagen entrichten, profitieren von diesem Rückgang deutlich weniger. Dagegen sind die Stromnetzentgelte in den Übertragungsnetzgebieten, in denen die Stahl und Metall verarbeitenden Industrie überwiegend angesiedelt ist, im Jahresvergleich zusätzlich um etwa zehn Prozent angestiegen.

Berücksichtigt man alle Preisbestandteile und setzt den Börsenstrompreis an, der sich durchschnittlich im Monat November 2021 für den Strombezug im Jahr 2022 eingestellt hatte (128 €/MWh), ergibt sich für ein Unternehmen, das keine Entlastung von den staatlichen Umlagen und Netzentgelten erhält, die Beispielrechnung aus Abb. 2.

Abhängig vom Einkaufszeitpunkt kann die Kostenveränderung höher oder niedriger ausfallen. Größere Unternehmen, die nahe oder vollständig am Spotmarkt einkaufen, sind mit einer Preissteigerung von 147 Prozent konfrontiert. Für diese Unternehmen können die Stromkosten auf Jahressicht um 70 Prozent steigen, abhängig von der weiteren Entwicklung im laufenden Jahr.

Die dargestellten Berechnungsbeispiele zeigen, dass die Energiekosten für viele Unternehmen im Jahr 2022 massiv ansteigen und mindestens für die energieintensiven Stahlverarbeiter eine existenzbedrohende Dimension haben. Effizienzmaßnahmen können diese Entwicklung kurzfristig sicher nicht abmildern und keinesfalls kompensieren. Abhängig von den örtlichen Gegebenheiten kann die Umstellung auf eine Eigenversorgung mit regenerativem Strom Entlastung bringen, allerdings nur für die strombasierten Prozesse. Auch das lässt sich jedoch kaum kurzfristig umsetzen.

Helfen könnte die Politik, zumindest im Hinblick auf die Stromkosten. In der Beispielrechnung machen die staatlichen Preisbestandteile im Jahr 2022 trotz gesunkener EEG-Umlage immer noch mehr als 6 Cent/KWh aus. Würde die Bundesregierung die Umlagen aus dem Staatshaushalt finanzieren und die Stromsteuer auf das europäisch festgesetzte Mindestmaß absenken, könnte der Gesamtstrompreis auf das Niveau des Vorjahres abgesenkt werden. Zu begrüßen ist daher, dass zumindest die für das Jahr 2023 vorgesehene Abschaffung der EEG-Umlage auf Mitte 2022 vorgezogen werden soll.
Der politische Einfluss auf den Erdgaspreis ist erkennbar geringer, allerdings dennoch vorhanden und sollte ebenfalls genutzt werden. Ein Aussetzen der nationalen CO₂-Abgabe könnte zumindest einen Teil der Kostenerhöhung kompensieren. Beide Maßnahmen – die Finanzierung der Strom-Umlagen aus dem Staatshaushalt und das Aussetzen der CO₂-Abgabe sind geboten, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie auf europäischer Ebene wiederherzustellen.

Auf internationaler Ebene stellt der Internationale Währungsfonds in seinem jüngsten World Economic Report fest, dass die Energiepreise in Europa stärker angestiegen sind, als in anderen Regionen. Auch hier ist die Politik gefordert und aufgerufen, die geopolitischen Spannungen an den osteuropäischen Grenzen abzubauen. Sollte dies nicht gelingen, könnten noch deutlich höhere Energiepreise drohen. Dann bliebe nur noch die Flucht in die Erneuerbaren Energien, fraglich jedoch, ob diese für die Unternehmen der Stahl- und Metallverarbeitung rechtzeitig gelingen kann.


Ansprechpartner

Dipl.-Kaufmann Holger Ade
Leiter Industrie- und Energiepolitik

WSM Wirtschaftsverband Stahl- 
und Metallverarbeitung e.V.
Goldene Pforte 1
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Tel. 02331 / 95 88 21
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