Zuckerbrot statt Peitsche

Die Stimmung der Unternehmen in der Euro-Zone – insbesondere in Deutschland – ist getrübt. Geklagt wird über eine Vielzahl von Herausforderungen und Unsicherheiten. Dies wird auch im Jahr 2024 die Investitionsbereitschaft dämpfen. Die EU-Gesetze geben zwar den Rahmen vor, was Unternehmen für den Klimawandel zu tun haben. Doch wo ist der Anreiz, die Transformation auch zu wollen?

Abb. 1: Quellen: Eurostat; P = EU-Prognose

Abb. 2: Quellen: Statistisches Bundesamt; IKB-Berechnung; S = IKB-Schätzung

Abb. 3: Quellen: Eurostat; Bloomberg

Laut erster Schätzung ist die Wirtschaft der Eurozone auch im letzten Vierteljahr 2023 nicht gewachsen. Seit nunmehr fünf Quartalen in Folge stagniert die Wirtschaftsleistung. Und auch in den kommenden Quartalen ist bestenfalls von einer nur graduellen Erholung auszugehen. Nicht zuletzt deshalb, weil die Schwäche weniger die Folge einer Krise ist; vielmehr spielen konjunkturelle und strukturelle Aspekte eine Rolle, und die geldpolitische Straffung zeigt zunehmend Wirkung. Auch wenn die EZB im Jahr 2024 ihre Geldpolitik lockert und die Zinsen senkt, werden die Auswirkung ihrer straffen Politik sicherlich noch bis ins Jahr 2025 zu spüren sein. Für das laufende Jahr erwartet die IKB deshalb für die Euro-Zone lediglich ein BIP-Wachstum von 0,4 %, nach 0,5 % im vergangenen Jahr.

Angesichts eines anhaltend schwachen Wachstums wird häufig die Fiskalpolitik in der Pflicht gesehen, zu unterstützen. Doch die Entwicklung des Haushaltsdefizits der EU deutet anders als das Defizit der USA auf keine spürbare fiskalische Stimulierung hin. Diese Zurückhaltung ist dennoch zu befürworten. Denn eine weniger expansive Fiskalpolitik unterstützt die geldpolitischen Anstrengungen, die Inflation zu dämpfen. Sie wird der Geldpolitik damit zunehmend Raum geben, die Zinsen senken zu können. Grundsätzlich weisen die EU-Länder in Krisenzeiten einen starken Konsens bezüglich makroökonomischer Politik auf. Dies zeigte sich in der Corona-Pandemie am Beispiel der zügigen Einführung von EU-Anleihen zur Finanzierung der Pandemiebekämpfung und Stützung der Wirtschaft. Dieser Konsens – getrieben durch gleiche Interessen der Länder – hat zu einer effektiven Politik geführt. Denn bereits in der zweiten Jahreshälfte 2021 konnte die EU ihre Vor-Corona-Wirtschaftsleistung wieder erreichen. Die EU-Politik hat also – auch durch Institutionen wie die EZB – eine konstruktive Rolle in der Krisenbewältigung gespielt und die schnelle Erholung der Wirtschaft ermöglicht. (Abb. 1)

Klare Rahmenbedingungen verlangen Einigkeit

Die EU handelt wachstumsfördernd, wenn es um Liberalisierung, Integration und Standardisierung von Märkten geht. Der Telekommunikationssektor ist hierfür ein Beispiel. In diesem Fall fördert die EU ihren Gründungsgedanken der „vier Freiheiten“ in Bezug auf Güter sowie Dienstleistungen, Personen und Kapital, was Wachstum und Wohlstand begünstigt. Schwieriger wird es, wenn sich die EU-Länder zwar auf Ziele im Grundsatz einigen, diese aber zum Teil ganz unterschiedliche Implikationen für die einzelnen Länder haben. Denn zum einen hemmt der daraus folgende Handlungsdissens die Fähigkeit der EU, klare Rahmenbedingungen vorzugeben. Zum anderen bringt das Streben nach Konsens oftmals Lösungen, deren Effektivität abgeschwächt ist. Der kleinste gemeinsame Nenner bestimmt eher die Richtung als überzeugendes Handeln. Dies reduziert die Schlagkraft von Entscheidungen. Während in Krisenzeiten Ziele und Implikationen klar sind, können Herausforderungen wie Transformation und Nachhaltigkeit die Länder durchaus unterschiedlich treffen.

Nachhaltigkeit und Klimaneutralität sind gesetzt

Die EU-Politik hat sich mehr und mehr zu einer Institution entwickelt, die zunehmend den Fokus auf Deregulierung und Marktkräfte aus den Augen verloren hat und verstärkt auf Regulierung zur Erreichung konkreter Ziele setzt. So hat sich die EU-Politik klar positioniert in Bezug auf Nachhaltigkeit und Klimaneutralität und versucht mit Regeln, wie die EU-Taxonomie, ihre Ziele zu erreichen. Dieser Ansatz findet sich nicht nur auf Makroebene wieder, zum Beispiel bei der regulierten Bepreisung des CO2-Ausstoßes, sondern auch in der EU-Taxonomie, die auf mikroökonomischer Ebene Wirtschaftsaktivitäten auf Grundlage ihrer Nachhaltigkeit klassifiziert. In der Folge sind Unternehmer verpflichtet, Informationen zu liefern und neue Regularien wie beispielsweise den Nachhaltigkeitsbericht zu erfüllen.

Die Verordnungen der EU-Taxonomie werden sicherlich die Transparenz in der EU bezüglich des nachhaltigen Wirtschaftens deutlich erhöhen, mit der Folge höherer Transaktionskosten. Ebenso teilt der Rest der Welt nicht unbedingt die EU-Ansprüche von Transparenz und Nachhaltigkeit. Die EU versucht deshalb, Wettbewerbsnachteile insbesondere infolge der CO2-Bepreisung durch weitere Regulierung auszugleichen. Hierzu gehört der europäische Grenzausgleichsmechanismus (CBAM), der auch die deutsche Industrie maßgeblich beeinflussen wird. Der Fokus liegt auf der Besteuerung des CO2-Gehalts importierter Güter. Dies soll heimische Industrien unterstützen, die durch die Nutzung grüner Technologien anfänglich preisliche Wettbewerbsnachteile aufweisen. Der EU-Binnenmarkt wird also geschützt, höhere Kosten entstehen jedoch für die europäischen Nachfrager. Auch verhindert der Mechanismus nicht, dass mögliche Wettbewerbsnachteile auf Exportmärkten entstehen. Im Gegenteil: Durch höhere Kosten von importierten Vorleistungs­gütern mag die Wettbewerbsfähigkeit sogar zusätzlich belastet werden.

Grüne Politik muss zu einem Wettbewerbsvorteil führen

Grundsätzlich wird entscheidend sein, dass die Einführung grüner Technologien in der Tat zu einem Wettbewerbsvorteil führt. Im Idealfall stellt diese Regulierung also nur eine Überbrückungsmaßnahme dar. Denn im Fall eines globalen CO2-Preises und eines globalen Ziels der Klimaneutralität wären solche Instrumente überflüssig. Zölle zum Schutz neuer Industrien und Technologien sind jedoch ein weitverbreitetes Werkzeug der Wirtschaftspolitik – allerdings mit gemischtem Erfolg. Denn die Gefahr besteht, dass diese Industrien und Technologien nie ein Stadium erreichen, in welchem sie selbstständig wettbewerbsfähig sind – gerade, weil sie geschützt wurden. Das Ergebnis sind dann langfristig nicht wettbewerbsfähige Industrien.

Klimaneutralität durch Abwanderung ist keine Lösung

Um die Klimaziele zu erreichen, ist eine Transformation der Industrie notwendig. Klimaneutralität durch Abwanderung der Produktion ins Ausland wird weder dem Weltklima noch der Wertschöpfung in der EU helfen. Doch gerade in disruptiven Zeiten fehlt oftmals die mittel- bis langfristige Perspektive, eine Transformation anzugehen. Gerade in der aktuellen Wirtschaftslage ist deshalb eine entscheidende und aus­reichend starke Anstrengung gefordert: Eine Kombination aus höheren CO2-Preisen und -Zöllen bei gleichzeitig bedeutenden Investitionsschüben ist notwendig, um die Transformation einzuleiten und Momentum aufzubauen. Ohne eine starke Investitionsbereitschaft werden „negative“ Anreize, wie Steuern und Regulierung, zu keiner Transformation führen, sondern nur zu Abbau und Verlagerungen von Produktionskapazitäten.

Es braucht positive Anreize, wie eine hohe Investitionsrendite durch zum Beispiel Steuersenkungen, und Planungssicherheit, damit eine erfolgreiche Transformation gelingt. Mehr noch als Verbote und Kosten müssen Opportunitäten und Gewinne im Fokus stehen. Die aktuelle CO2-Bilanz der deutschen Industrie ist ein mahnendes Beispiel, wie Transformation nicht funktioniert. Zwar wurden die für 2023 gesetzten Klimaziele tatsächlich erreicht, aber der CO2-Ausstoß reduziert sich nur, weil die Industrieproduktion gesunken ist. So verringert sich bereits seit Jahren der Anteil energieintensiver Branchen wie Chemie, Glas, Papier und die Metallindustrie an der gesamten Produktion des deutschen verarbeitenden Gewerbes. Der schwache Konjunkturverlauf und die Abwanderung energieintensiver Industriezweige bestimmen also vorrangig die Höhe des CO2-Ausstoßes in Deutschland. Dies wiederum ist auf eine viel zu niedrige Investitionsquote zurückzuführen. (Abb. 2)

Die Stimmung der Unternehmen in der Euro-Zone – insbesondere in Deutschland – ist getrübt. Die Unternehmen klagen über eine Vielzahl von Herausforderungen und Unsicherheiten. Dies wird auch im Jahr 2024 die Investitionsbereitschaft dämpfen. Die EU-Gesetze geben zwar den Rahmen vor, was Unternehmen für den Klimawandel zu tun haben. Doch wo ist der Anreiz, die Transformation auch zu wollen? Letztendlich ist es immer effektiver, wirtschaftliches Verhalten eher durch „wollen“ als durch „müssen“ zu steuern. Zwar verfolgt die EU einen doppelten Ansatz aus Zuckerbrot (Subventionen) und Peitsche (ansteigende CO2-Preise). Angesichts des deutschen Beispiels und insbesondere der niedrigen Investitionsquote muss allerdings deutlich mehr passieren, was positive Anreize angeht. Es braucht eine grundsätzlich positive Erwartungshaltung für den Standort ebenso wie für zukünftige Gewinne. Schließlich gelingt Transformation nur durch eine hohe Investitionsquote und damit Wirtschaftswachstum. Eine erfolgreiche Klima- beziehungsweise Transformationspolitik benötigt deshalb alle Anreize, die die EU und somit auch Deutschland zu einem investitionsfreundlichen Land machen und das Potenzialwachstum verbessern. Dazu gehören stabile Rahmenbedingungen wie Planungssicherheit, effiziente Kostenstrukturen und eine tragbare Steuerlast, aber auch eine deutlich höhere Investitionsquote. (Abb. 3)