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Aktuelles aus Wirtschaft & Politik
halb wird Deutschland seine Abhängigkeit bei Gas gegenüber Katar und den USA spürbar er- höhen müssen, um diejenige von Russland ver- ringern zu können.
Das mag aktuell als weniger belastend einge- schätzt werden. Das Grundproblem besteht aber weiterhin: Die deutsche Industrie ist bei vie- len Rohstoffen auf die Zulieferung durch eine Handvoll Länder angewiesen. Auch sind Roh- stoffmärkte oftmals durch eine oligopolistische Marktstruktur geprägt; es gibt also jeweils ein paar große Spieler, die den Weltmarkt beliefern. Somit gibt es zwar einerseits Alternativen zu den aktuellen Lieferanten; die weltweite Sanktionie- rung eines Zulieferers würde aber kurzfristig zu spürbaren Preisanstiegen und globalen Produk- tionsrückgängen führen. Gerade bei einigen Metallen ist Russland solch ein Oligopolist. (Ab- bildungen 1 und 2)
Abbildung 1
Der Anteil Russlands am weltweiten Export ausgesuchter Metalle/Rohstoffe
Rohstoffexportierende Länder sind zudem oft- mals Schwellenländer, in denen Demokratie, Menschenrechte und Umwelt häufig eine unter- geordnete Rolle spielen. Wo eine höhere Wert- schöpfung fehlt, kann kein breit basierter Wohl- stand entstehen, und der Kampf um Wohlstand diktiert die gesellschaftliche Ordnung – oftmals zu Lasten der dortigen Bevölkerungsmehrheit und der Umwelt. Hier sind Russland wie China keine Ausnahmen.
Braucht Deutschland Metalle, die nur von einer Handvoll von Ländern geliefert werden können, ergeben sich jedoch kaum Alternativen, und es kann ein Konflikt zwischen sozialen sowie politi- schen Zielen und wirtschaftlichen Realitäten entstehen. Dieses grundsätzliche Dilemma geht weit über die deutsche Russlandpolitik der letz- ten Jahre hinaus. Denn auch die durch den Krieg in der Ukraine angestoßenen neuen Ver- sorgungsbeziehungen könnten sich in ein paar
Jahren als politisch ungewollt erweisen. Heute schon steht Katar wegen der dortigen Men- schenrechtssituation in der Kritik, und das För- dern von Flüssiggas durch Fracking – beispiels- weise in den USA – gilt als äußerst umwelt- schädlich.
Sanktionen, also der Versuch durch wirtschaft- liche Kosten politische Veränderungen zu indu- zieren, haben sich im historischen Vergleich bestenfalls als teilweise erfolgreich erwiesen. Je geringer die Kosten für das Land sind, das die Sanktionen ankündigt, und je höher die Kosten für das sanktionierte Land sind, desto nachhalti- ger und effektiver scheinen Sanktionen zu wir- ken. Erfolgreiche Voraussetzungen für weitere, rohstoffbezogene Sanktionen sind aktuell je- doch kaum gegeben. Denn die hohe Abhängig- keit der deutschen Wirtschaft von russischen Rohstoffen deutet auf signifikante kurzfristige Kosten hin, während der kleine Anteil von profi-
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