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Nachrichten 2-2022
Aktuelles aus Wirtschaft & Politik
Rohstoffabhängigkeit
Erst diversifizieren, dann sanktionieren
Die Bundespolitik steht in der Kritik, sich bei Rohstoffen zu sehr von Russland abhängig gemacht zu haben. Das stellt die deutsche Wirtschaft vor die Herausforderung, zwischen neuen politischen Zielen und wirt­ schaftlicher Realität lavieren zu müssen.
Diese Entscheidung bringt Geschäftsmo- delle der deutschen Industrie – gerade auch der rohstoffintensiven Metallindust-
rie – in Bedrängnis: Erhalten die Unternehmen ihre Handelsbeziehungen mit Russland auf- recht, so belastet das ihre politische und gesell- schaftliche Wahrnehmung. Wird hingegen die Rohstoffzufuhr gekappt, steht womöglich der gesamte Wertschöpfungsprozess am Standort Deutschland auf dem Prüfstand. Schließlich ist Russland nicht nur Exporteur wichtiger Energie- träger, sondern auch von Metallrohstoffen.
Der Krieg in der Ukraine erfordert eine klare Dis- tanzierung der internationalen und deutschen Wirtschaft von den russischen Aggressionen. Doch das Problem ist ein grundsätzlicheres. Deutschland ist ein rohstoffarmes Land, das vor allem Rohstoffe beziehungsweise Güter mit ei- ner geringen Wertschöpfung importiert. Nur bei einem hohen Grad der Spezialisierung kann die Wirtschaft ihre Wettbewerbsfähigkeit behaupten und können Unternehmen globale Marktanteile trotz eines niedrigen deutschen Potenzialwachs- tums verteidigen. Der Versuch, eine größere Im- portunabhängigkeit zu erreichen, würde hohe Ineffizienzen mit sich bringen und wäre gerade bei Rohstoffen schon mangels Verfügbarkeit be- ziehungsweise Alternativen unrealistisch.
Deutschland ist ein Industrieland, in dem der In- dustriesektor im Vergleich zu anderen entwickel- ten Ländern eine hohe Wertschöpfung aufweist. Rohstoffe im Allgemeinen und Metalle insbe- sondere sind dabei notwendige Inputfaktoren, um den deutschen Wachstumsmotor aufrecht zu halten und um nachhaltig die Existenz und Bedeutung des Industriestandorts zu sichern. Als Land mit überschaubaren Rohstoffquellen und niedrigem Potenzialwachstum ist die Ein- fuhr von Rohstoffen unausweichlicher Teil des Wirtschaftsmodells. Denn nur so ist die Spezia- lisierung und Wertschöpfung am Standort Deutschland möglich. Die oftmals kritisch gese- hene Abhängigkeit von Rohstoffimporten ist also andererseits wichtiger Wachstumsimpuls für ein Land mit niedrigem Potenzialwachstum und wenigen natürlichen Ressourcen.
Während der globale Markt bei Öl oder Kohle eine Diversifikation ermöglicht und so die Unab- hängigkeit von einzelnen exportierenden Län- dern erleichtert, ist es bei Gas und manchen Metallen schwieriger. Auch ist die Möglichkeit, Gas in der Industrie durch andere Rohstoffe zu ersetzen, eher überschaubar. Schätzungen deu- ten auf ein Substitutionspotenzial von etwa 8 Prozent für die allgemeine und zwischen 10 und 12 Prozent für die Metallindustrie hin. Des-
    























































































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