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Aktuelles aus Wirtschaft & Politik  Niedermark: Wir Europäer haben zu lange der Überzeugung nachgehangen, dass China sich entweder in unsere Richtung entwickeln muss oder scheitern wird. Kaum jemand hat Chinas Ambitionen und Fähigkeiten, ein eigenes Ge- genmodell zur liberalen Moderne – also zu De- mokratie und Marktwirtschaft – erfolgreich zu verwirklichen, ernst genug genommen. Diese Überheblichkeit haben wir im BDI komplett ab- gelegt. Wir nehmen China heute als globalen systemischen Wettbewerber sehr ernst. Auch wenn insbesondere Staatsunternehmen immer noch zu Ineffizienzen und Überkapazitä- ten in China führen, müssen wir anerkennen: Die chinesische Industrie hat technologisch und qualitativ rasend schnell aufgeholt. Vor allem ist es China durch eine Mischung aus unternehme- rischer Dynamik und massiven industriepoliti- schen Eingriffen gelungen, in mehreren Schlüs- selsektoren global erfolgreiche nationale Champions aufzubauen. Wir Europäer haben zu lange der Überzeugung nachgehangen, dass China sich entweder in unsere Richtung entwickeln muss oder scheitern wird. Auch heute laufen wir aber Gefahr, bei der Ein- schätzung Chinas Fehler zu machen. Wir dürfen nicht dazu übergehen, Chinas kometenhaften globalen Aufstieg auch für die Zukunft als ge- geben anzunehmen. Defätismus ist fehl am Platz. Diktaturen mit totalitären Unterdrückungs- apparaten sind bislang allesamt gescheitert. Wie erfolgreich China mit seinen globalen wirt- schaftlichen und politischen Ambitionen ist, hängt auch davon ab, wie die Gemeinschaft de- mokratischer Marktwirtschaften reagiert. Wolfgang Niedermark Wie beurteilen Sie das Thema CO2-Grenz- ausgleich, auch Klimazölle genannt? Niedermark: Grundsätzlich ist es richtig, wenn die EU nach neuen Instrumenten sucht, um das sogenannte Carbon Leakage zu verhindern. Wenn wir in der EU immer klimafreundlicher pro- duzieren, aber gleichzeitig immer mehr Produk- te aus Ländern mit niedrigeren Standards im- portieren, dann ist weder dem Klima noch unserer Wirtschaft geholfen. Der Vorschlag der EU-Kommission sieht dafür die virtuelle Anbin- dung der Nicht-EU-Handelspartner an das EU- Emissionshandelssystem vor und würde deren Produkte bei der Einfuhr verteuern. Gleichzeitig müssen wir die negativen Effekte beachten. Ein CO2-Grenzausgleichsmechanis- mus würde nicht nur bürokratische Belastungen für Unternehmen mit sich bringen, sondern könnte auch zur internationalen Protektionis- mus-Spirale beitragen. Außerdem könnten Län- der wie China die Steuer durch eine Fokussie- rung erneuerbarer Energieressourcen auf die Exportproduktion umgehen. Bevor die EU ein- seitig einen solchen Mechanismus einführt, soll- te sie ihre Handelspartner unbedingt ausführlich konsultieren. Sonst drohen neue Handelskon- flikte – zum Schaden aller Beteiligten. All dies muss die EU-Kommission im Blick haben. Wir danken Ihnen für das Gespräch. K Nachrichten 3-2021      9     Foto: Florian Koch // moodmood 


































































































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