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25 Nachrichten 4-2022 Für die Betriebspraxis berechtigte Schutzinteressen des Herstellers. In bestimmten Fällen sieht Artikel 9 darüber hin- aus Vermutungsregeln zugunsten des Ge- schädigten vor. So wird die Fehlerhaftigkeit des Produkts vermutet, wenn der Beklagte einer Of- fenlegungsverpflichtung nach Artikel 8 nicht nachgekommen ist, der Kläger nachweisen kann, dass das Produkt zwingenden Sicher- heitsanforderungen nicht entspricht oder der Kläger nachweist, dass der Schaden durch eine offensichtliche Fehlfunktion des Produkts bei normalem Gebrauch oder unter gewöhnlichen Umständen verursacht wurde. Die Kausalität zwischen der Fehlerhaftigkeit des Produkts und dem Schaden wird vermutet, wenn festgestellt wurde, dass das Produkt fehlerhaft ist und der verursachte Schaden von der Art ist, die typi- scherweise mit dem betreffenden Fehler einher- geht. Darüber hinaus kann das nationale Gericht in technisch oder wissenschaftlich komplexen Fällen weitere Vermutungen bezüglich des Nachweises der Fehlerhaftigkeit oder der Kau- salität zugunsten des Klägers gelten lassen. In diesen Fällen soll es reichen, wenn der Kläger anhand hinreichend aussagekräftiger Beweise nachgewiesen hat, dass das Produkt zu dem Schaden beigetragen hat und dass es „wahr- scheinlich“ ist, dass das Produkt fehlerhaft war oder dass seine Fehlerhaftigkeit eine „wahr- scheinliche“ Ursache für den Schaden war. Die- se weitgehenden Vermutungsregeln stellen we- sentliche Haftungsverschärfungen zu Lasten der Hersteller dar. Artikel 10 sieht eine Reihe von Haftungsaus- schlüssen vor. Die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen liegt beim Hersteller bezie- hungsweise den anderen haftenden Wirtschafts- teilnehmern. Interessant ist, dass die Einrede des Entwicklungsrisikos, nach der ein Hersteller nicht haftet, sofern der vorhandene Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zu dem Zeitpunkt, zu dem er das betreffende Pro- dukt in den Verkehr brachte, nicht erkannt wer- den konnte, weiter bestehen bleibt. Er wird nun sogar einheitlich in allen Mitgliedstaaten veran- kert (Art. 10 Abs. 1e des Entwurfs). In der bishe- rigen Fassung der Richtlinie konnten Mitglied- staaten diese Einrede in ihren Rechtsordnungen ausschließen. Die Einrede war während des Konsultationsverfahrens der Kommission insge- samt in Frage gestellt worden. Kritisch zu sehen ist dagegen, dass der bislang in Artikel 9 der Pro- dukthaftungsrichtlinie vorgesehene Selbstbehalt von 500 Euro im Falle von Sachschäden gestri- chen werden soll. Gleiches gilt für die Option der Mitgliedstaaten, die Gesamthaftung für Schäden infolge von Tod oder Körperverletzungen, die durch gleiche Artikel mit demselben Fehler ver- ursacht wurden, auf bis zu 70 Millionen Euro zu begrenzen. Artikel 10 Absatz 2 konkretisiert, dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer nicht darauf berufen kann, dass der Fehler zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht vorlag, sofern der Fehler auf verbundenen Dienstleistungen oder fehlender oder fehlerhafter Software-Upgrades, die seiner Kontrolle unterliegen, beruht. Die Verjährungsfrist von drei Jahren bleibt im Vergleich zur geltenden Produkthaftungsrichtlinie unverändert (Artikel 14). Auch die bislang in Arti- kel 11 der geltenden Richtlinie vorgesehene Haf- tungsfrist von 10 Jahren bleibt grundsätzlich be- stehen. Sie kann jedoch ausnahmsweise um wei- tere fünf Jahre verlängert werden, wenn die Symptome eines Personenschadens latent sind und die verletzte Person daher kein Verfahren in- nerhalb der 10 Jahre nach Inverkehrbringen des Produktes eingeleitet hat (Artikel 14 Absatz 3). K Christian Vietmeyer Syndikusrechtsanwalt, Hauptgeschäftsführer WSM Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung e.V. Uerdinger Straße 58-62 40474 Düsseldorf Telefon: 0211 / 95 78 68 22 cvietmeyer@wsm-net.de www.wsm-net.de Ansprechpartner Foto: Mourad ben Rhouma