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7 Nachrichten 4-2022 Aktuelles aus Wirtschaft & Politik produktion und die Kaufzurückhaltung bei Konsumgütern bemerkbar. Welche Entwick- lung wird das nehmen? Michael Hüther: Die Krise ist schon längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wir se- hen beispielsweise, dass nur noch die Hälfte der Deutschen überhaupt Geld zurücklegen kann. 2020 waren es noch 70 Prozent. Die hohen Infla- tionsraten belasten die Geldbeutel, deshalb stel- len die Menschen Konsumentscheidungen zu- rück. Aus diesem Grund ist es richtig, dass die Bundesregierung Anstrengungen unternimmt, die privaten Haushalte in der Krise zu entlasten. Aber auch die Unternehmen müssen zusätzlich entlastet werden, etwa durch die Möglichkeit von Steuer-Stundungen oder eine Negativsteuer. Wichtig und sinnvoll ist in der gegebenen Situa- tion die Gaspreisprämie, die die Regierung jetzt auf den Weg gebracht hat, weil dadurch die Un- ternehmen die Aussicht auf tragfähige Energie- preise gewinnen. Denn nicht nur die Haushalte fahren ihren Konsum zurück. Auch Unternehmen investieren weniger und fragen weniger nach. Wichtig ist insgesamt, dass wir nicht in eine Lohn-Preis-Spirale kommen. Deshalb warne ich vor zu hohen Tarifabschlüssen. Eine kluge Kom- bination von tariflichen Anpassungen und Ein- malzahlungen zeigt den Weg. Bis zu 3.000 Euro sind steuerfrei möglich. Das könnte auch die In- flation verlangsamen und die Nachfrage stärken. Die Industrie fordert den Staat auf, in die Energiemärkte einzugreifen und einen Strom- und Gaspreisdeckel einzuführen. Zusätzlich werden verbesserte Hilfspro- gramme gefordert wie beispielsweise Zu- schüsse zur Abfederung der Kostensteige- rungen. Nicht zuletzt könnte der Staat die Nachfrage stimulieren. Welche Rolle sollte er in dieser Situation einnehmen? Michael Hüther: Es ist schwierig vorherzusa- gen, wie sich Märkte verzerren, wenn der Staat in Preismechanismen eingreift. Im Falle der Gas- und Stromkostenbremse jedoch ist ein Eingreifen gerechtfertigt, weil wir es mit einem exogenen Schock zu tun haben, der sehr be- drohlich für unsere Wirtschaft und die Haushalte ist. Gut, dass sich die Regierung hier auf eine Lösung verständigt hat. Daneben sind Direkt- zahlungen an Haushalte, die tatsächlich unter den hohen Energiepreisen leiden, ein wirksa- mes Mittel. Diese wären zumindest besser, als sich in Details der Entlastungspakete zu verirren und wichtige Zeit verstreichen zu lassen. Für Unternehmen sind Liquiditätshilfen die erste Wahl, doch sollte der Staat hier, wie bereits er- wähnt, auch nach links und rechts schauen. Das Steuerrecht hat ungenutzte Potenziale, um Li- quidität zu sichern, etwa mithilfe von Stundun- gen und einer Negativsteuer. Die Stundungen haben sich schon während der Pandemie als effektives Mittel. Wir bedanken uns für das Gespräch. K Foto: Chalabala - stock.adobe.com